Anouk ging vorbei, nur ein Windstoß gespielter Leichtigkeit entlang der Promenadenbänke an den Ufern des Donaukanals, hohe Schuhe und gesenkter Blick der dunkelblau geschminkten Augen, und niemanden traf sie, nicht Jasmin, Kentzy, nicht einmal den jungen Mann aus Jeffersons Jazzloch-Ness, dessen Namen sie sich nicht gemerkt hatte, und der ihr seither schon zweimal über den Weg gelaufen war, zufällig, wie das so passiert.

Wie geht es dir?

Und man lügt verhalten lächelnd über das verregnete Sommerwochenende, an dem man zu viel Zeit füreinander hatte, ging den Typen nichts an, kannte man sich doch so gut wie nicht.

Hunde erkennen seltsamerweise einander, hatte Harry einmal gesagt, selbst, wenn der eine nur so groß ist wie eine Tatze des anderen, und völlig anders aussieht.

Muss am Geruch liegen, hatte er gemeint. Kannst du mich riechen?

Ja, hatte sie gesagt.

Wien roch für Anouk nicht, sah auch nicht aus. Was man zu lange sieht, wird unsichtbar. Wie sie selbst, draußen in der Stadt, zumindest empfand sie das oft so. Anonymität als Tarnkappe, aber Catwalk derer, die ihre Tarnkappe in den Modefarben trugen.

Mit Wien als gelungener Melange aus untergegangener Monarchie und untergegangenem Sozialismus, wie ihr Vater gesagt hatte, verband Anouk auch so etwas wie das Glücksgefühl abstürzender Bergsteiger, in dieser wunderbaren Gegend noch nicht unten angekommen zu sein. Hatte auch ihr Vater gesagt.
Ihren Sommermantel aus durchsichtigem Plastik mit blauen Nieten und ebensolchen Stoffaufschlägen trug sie schon immer offen, Londoner Modell aus dem Second-Hand-Laden, gewendet waren die Accessoires rot. Manchmal verirrte sich echt schräge Ware auch in solche Shops. Etwas zu schmal war er ihr, aber man muss Sommermäntel ja nicht zuknöpfen, war ja ohnedies zu heiß dazu.

Vor einem Jahr hatte sie in demselben Geschäft für Harry ein Sakko gekauft, schreiend himmelblau, für die Bühne, aber es hatte zu wenige Innentaschen, um all die benötigten Requisiten verstauen zu können, und schneidern konnte weder sie noch Harry. So trug sie das gute Stück wieder zurück. War wieder einmal ein Verlustgeschäft.

Der Mantel fiel auf. Ein Eyecatcher, hatte die Verkäuferin gesagt. Anouk hatte ihn gekauft, weil er mit seiner roten Seite perfekt zu ihren Jeans und dem roten Top passte.

Die Haare hatte sie damals ebenfalls rot gefärbt. Die Augen auch, logisch. Karotte, hatte Harry sie genannt, nicht wirklich schmeichelhaft.

Zurzeit trug sie blau, doch nicht, weil Harry rot nicht taugte, das war schließlich ihr Ding. Die Färbung hatte sie noch zu Hause gehabt. Blich ohnedies viel zu schnell wieder aus.